Über Community Aufbau, Management und Mobilisierung in Linkedin

Ein Beitrag von İlkay Özkısaoğlu

Als aktiver Content Creator in LinkedIn mit über 5000 verfassten Beiträgen erlebe ich immer wieder, dass Community Building oft das sprichwörtliche Stiefkind in der Social Media Strategie vieler Online Marketer ist.  

Doch warum ist das eigentlich so? Und welche Möglichkeiten hat man als Marketingverantwortlicher oder Social Media Beauftragter, wenn es darum geht, eine Community aufzubauen und zielgerichtetes Community Management zu betreiben? In diesem Artikel beantworte ich diese Fragen am Beispiel LinkedIn und erkläre außerdem, warum Aufbau und Management einer Community wenig nützen, wenn man es nicht schafft, diese auch zu mobilisieren.  

Kommunikation als “Einbahnstraße”  

Bevor wir uns mit dem Thema Community Building auseinandersetzen, möchte ich zunächst kurz darauf eingehen, wie Content Creation auf Social Media – in unserem Fall am Beispiel LinkedIn – beschaffen ist.  Dafür verwende ich gerne den Begriff der “Einbahnstraße”, in der sich jeder Content Creator am Beginn seiner Tätigkeit befindet. Einbahnstraße deshalb, weil die Kommunikation ausschließlich in eine Richtung geht – und zwar vom Creator zum Rezipienten. Die wechselseitige Auseinandersetzung (Reziprozität) bleibt aus.  

Für diese Form der Kommunikation wurde in den 1950er Jahren von den amerikanischen Psychologen Donald Worton und Richard Wohl der Begriff “Parasoziale Interaktion” geschaffen. Die beiden beschäftigten sich mit bestimmten Verhaltensmustern im Zusammenhang mit dem Medium Fernsehen und untersuchten, wie es dazu kommt, dass Rezipienten sich als “Teil” von Fernsehformaten fühlen (wie etwa bei Talkshows) bzw. das Gefühl haben, soziale Beziehungen zu Medienfiguren (zum Beispiel Seriendarstellern) aufzubauen. Horton und Wohl sprachen in diesem Zusammenhang von “Parasozialen Beziehungen” beziehungsweise Parasozialer Interaktion als Kommunikationsform, aus der diese “Scheinbeziehungen” entstehen.1  

Die Erkenntnisse der beiden Wissenschaftler lassen sich sehr gut auf die heutige Zeit umlegen. Besonders anschaulich erklären lassen sie sich am Beispiel von Influencern. Sie teilen auf Social Media ihren Alltag – und oft intime Details – mit ihren Followern. Diese haben durch das häufige konsumieren ihrer Inhalte das Gefühl, ein Teil ihres Lebens zu sein bzw. die Person zu kennen, ohne je ein persönliches Wort mit ihr gesprochen zu haben.  

Bei der Content Creation auf Business Kanälen wie Linkedin ist dieses Phänomen natürlich weniger stark ausgeprägt, da hier in der Regel nichts oder relativ wenig Privates preisgegeben wird. Dennoch bleibt das Prinzip dasselbe: Als Ersteller von Content sieht mein Publikum mich bzw. das Ergebnis meiner Arbeit, während es für mich (zunächst) unsichtbar bleibt. Solange das so ist, ist die Contenterstellung quasi ein “Blindflug”, denn ich habe keine Ahnung, wie das, was ich schreibe oder sage, bei meinem Publikum ankommt. Mehr noch, ich habe keine Ahnung, wer die Menschen sind, die meine Inhalte konsumieren. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als die Einbahnstraße weiter entlangzulaufen und zu hoffen, dass sie mich irgendwohin führt.  

Die “Engagement Treppe” – Der Weg aus der Einbahnstraße 

Die gute Nachricht ist: Das muss nicht zwangsläufig so bleiben. Es gibt einen Weg, auf dem die Einbahnstraße verlassen werden kann. Dieser Weg führt über die “Engagement Treppe”.  

Die Engagement Treppe ist ein 5-stufiges Modell, das erklärt, wie aus den sogenannten “stillen Nutzern” – also den Rezipienten, die Inhalte nur konsumieren – selbst Content Creatoren werden, die durch ihr Engagement schließlich eine Community bilden.  

Stufe 1: Stille Nutzer 

Meiner Einschätzung nach sind weit über 90% der LinkedIn User stille Nutzer. Sie konsumieren Inhalte, ohne dabei jemals zu liken, zu kommentieren oder selbst Beiträge zu verfassen. Ziel ist es, diese stillen Nutzer aus ihrer Deckung zu holen und für mich als Creator sichtbar zu machen.  

Stufe 2: Content Engagement 

Obwohl auch die stillen Nutzer durchaus einen Zweck für mich als Content Creator erfüllen (weiter unten dazu mehr), sollte ich als solcher alles daran setzen, dass sich diese Personen an meinen LinkedIn-Aktivitäten beteiligen, indem sie meine Inhalte liken und/oder kommentieren. Dies erreiche ich, indem ich aktiv Fragen stelle und um Erfahrungen und Meinungen zu meinem Postingthemen bitte (call to action). Auch ein ausgewogener Themenmix ist wichtig, um die verschiedenen Persönlichkeiten in der großen Gruppe der stillen Nutzer abzuholen. Grundsätzlich gilt: Content, der einen Blick hinter die Kulissen meines Unternehmens und auf die dort arbeitenden Menschen erlaubt, wirkt sympathisch, schafft Vertrauen und ist leichter konsumierbar als ausführliche Beiträge zu Fachthemen. Daher sollten auch solche Postings Teil meiner LinkedIn-Strategie sein, wenn es darum geht Engagement zu erwirken.  

Stufe 3: Content Creation 

Wenn meine stillen Nutzer ihre Verstecke verlassen haben, widme ich mich meiner nächsten Aufgabe. Nämlich sie dazu zu bringen, dass sie selbst Inhalte erstellen. Mit Sicherheit eine der schwersten Aufgaben auf dieser Reise. Denn der Sprung vom Kommentieren zur Erstellung eigener Inhalte (egal ob in Form von Textbeiträgen, Präsentationen, Videos, Podcasts etc.) ist nicht zu unterschätzen. Eın erster Schritt wäre hier, dass meine Follower die von mir erstellten Inhalte auf ihrem eigenen Profil teilen. Ein weiterer Schritt wäre, dass sie dabei ihre ergänzenden Gedanken hinzufügen oder ihre eigenen Kontakte nach deren Meinung zu dem Thema fragen.  

Stufe 4: Community Building  

In dieser Phase hat der Content Creator die meiste Arbeit. Nun geht es darum, die Audience – die sich bereits von stillen in sichtbare Nutzer verwandelt hat – zu einer Einheit zu formen. Hier gilt das Prinzip: Es ist gut, wenn viele Einzelpersonen sich für meine Inhalte interessieren. Um das volle Potential der Masse auszunutzen, müssen diese aber zu einer Community zusammenwachsen. Die magische Zutat dafür ist Community Management. Nur wenn mein Publikum das Gefühl hat, dass sein Engagement auf fruchtbaren Boden fällt, wird es sich die Mühe machen, dieses weiterhin zu betreiben. Das bedeutet: Jeder – und zwar wirklich jeder – Kommentar muss beantwortet werden. Für das Teilen meiner Inhalte gebührt meinen Nutzern meine vollste Wertschätzung. Die Inhalte, die meine Nutzer erstellen, sind für mich nicht nur von Interesse, sondern ich beteilige mich aktiv an der Kommunikation darüber. Kurz gesagt, ich baue eine Beziehung zu meinem Publikum auf und bringe mich aktiv in die Tätigkeiten meiner Follower ein, indem ich ihre Beiträge kommentiere, sie in meinen Beiträgen tagge etc. Hier kommt also das Prinzip der Wechselseitigkeit zum Tragen.  

Stufe 5: Community Mobilisierung 

Diese Stufe stellt das Ende der fiktiven Treppe und das Finale des Community Buildings dar. Fakt ist: Die größte Community ist wertlos, wenn man sie nicht mobilisieren kann. Daher geht es in dieser Phase darum, sich bei Veranstaltungen, Messen, Events etc.  – also im “realen Leben” – zu treffen. Diese Phase unterscheidet sich für Marketer je nachdem, in welcher Branche sie tätig sind. Im B2B-Bereich geht es dabei eher um Branchenbeeinflussung, im B2C-Bereich eher um Markenstärkung. Am Ende dieses Artikels werde ich das eben Erläuterte anhand eines Praxisbeispiels aus dem B2B-Bereich veranschaulichen, um vor allem diese letzte Stufe verständlicher zu machen.   

Wer diesen Stufenplan verfolgt, um eine Community aufzubauen, muss sich darüber im Klaren sein, dass der Zeit- und Energieaufwand mit jeder neuen Treppe, die erklommen wird, steigt. Gleichzeitig steigt natürlich auch der Outcome. Dennoch ist es mir wichtig zu erwähnen, dass der Prozess vom stillen Nutzer zu einer mobilisierten Communitiy nichts ist, was sich von heute auf morgen erreichen lässt. Eine realistische Zeiteinschätzung ist meiner Erfahrung nach in etwa ein Jahr, wobei Community Building nichts ist, was zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen ist, sondern während der gesamten “Social-Media-Lebenszeit” eines Unternehmens eine Rolle spielen sollte. 

 

Das Push-Pull-Prinzip im Zusammenhang mit Community Building  

In meinem beruflichen Alltag kommen nun immer wieder Marketer auf mich zu, die mich fragen: Ja, aber wozu das Ganze? Warum reicht es nicht aus, die Inhalte meines Unternehmens auf Social Media (in unserem Fallbeispiel LinkedIn) zu posten. Es haben doch auch die stillen Nutzer einen Mehrwert für mein Unternehmen. Sie sehen, lesen und hören meine Inhalte, werden dadurch auf das Unternehmen oder die Marke aufmerksam und erhöhen durch ihre Verweildauer die Reichweite meiner Beiträge. Was sie sich beim Konsumieren meiner Inhalte genau denken und wie sie zu meinem Content stehen, weiß ich doch bei anderen Formen des Marketings auch nicht.  

Das stimmt! Doch genau hier liegt der Mehrwert von Social Media! Dass ich nämlich durch ORGANISCHES Marketing eine Community für mein Unternehmen aufbauen und dabei noch ganz genau beobachten kann, wer diese Menschen sind und wie sie zu meinem Unternehmen stehen. Dieser direkte Kontakt ist mit keinem anderen Marketing-Tool zu erreichen. Zumindest nicht unter Aufwendung der vergleichsweise geringen Mittel, die für Social Media notwendig sind. Es wäre daher unsagbar schade, weiterhin Zeit, Geld und Ressourcen in die Einbahnstraße zu investieren indem das Social Media Marketing auf das Posten von Inhalten und das Schalten von Werbung reduziert wird.  

Zum Vergleich greife ich an dieser Stelle gerne auf das bekannte Prinzip des Push-Pull-Marketings zurück: Beim Push-Marketing habe ich die Kontrolle, wen ich wann mit welchen Mitteln und wie oft anspreche. Die Maßnahmen sind gut steuerbar und langfristig planbar. Allerdings habe ich wenig Einfluss darauf, ob sie bei der richtigen Zielgruppe ankommen und dadurch einen hohen Streuverlust.  

Beim Pull-Marketing bin ich bereit, ein Stück dieser Kontrolle abzugeben und sie der Zielgruppe zu überlassen. Ich übernehme quasi die Rolle eines Gastgebers, lade mein Publikum ein und warte, bis es aus freien Stücken zu mir kommt. Das dauert länger und kann mitunter dazu führen, dass ich mich mehr involvieren muss, die “Gäste” die letztendlich erscheinen, sind aber die, die tatsächlich wegen mir da sind und vermutlich immer wieder kommen werden. Sie sind die Community, die am Ende des Tages mein Produkt oder Unternehmen erfolgreich machen.  

Das (offensichtliche) Problem mit dem Prinzip “Wasch mich, aber mach mich nicht nass” 

Trotz aller bisher dargelegter Argumente für Community Building erlebe ich, dass Marketer ihr Unternehmen auf LinkedIn präsentieren (wollen), durchaus gute Ideen für Content haben, wissen, wie sie diese umzusetzen haben und auch bereit sind, ein gewisses Budget in das Projekt “LinkedIn” zu investieren. Was ihnen allerdings fehlt ist – wie bereits dargelegt –  die Bereitschaft, darüber hinaus Zeit auf der Plattform zu verbringen und sich mit den Inhalten Anderer auseinandersetzen.  

Nichts desto trotz haben diese Marketer meistens eine recht klare Vorstellung von den Zielen, die sie mit ihrer Präsenz auf LinkedIn für ihr Unternehmen erreichen wollen. So soll etwa die Reichweite erhöht, eine Meinungsführerschaft aufgebaut, erfolgreiches Employer Branding betrieben und generell das Image des Unternehmens oder der Marke gestärkt werden.  

Ich kann es nur immer wieder betonen: All diese Ziele lassen sich mit LinkedIn wunderbar erreichen. Wenn ich mich allerdings als Unternehmen (oder Person, die für ein Unternehmen steht) nicht einbringe und mit meinem Publikum interagiere, fällt das in die Kategorie “wasch mich, aber mach mich nicht nass.”  

Das eine lässt sich ohne das andere einfach nicht erreichen. Genau dieses Verständnis ist es, das in vielen Marketingabteilen schlicht und einfach fehlt. In meinen Schulungen und Coachings ist es mir daher enorm wichtig zu vermitteln, dass Community Building kein nice-to-have ist, um das man sich kümmert, wenn alles andere  läuft. Sondern – im Gegenteil – einen wesentlicher Grundstein der Kommunikationsstrategie darstellt und das Um und Auf für den Erfolg eines Unternehmens oder einer Marke auf Social Media – und zwar egal, auf welchem Kanal.  

Community Building am Beispiel der “Composites Lounge” 

Zu guter Letzt möchte ich anhand eines Beispiels aus der Praxis den Nutzen von Community Building und – Mobilisierung im Sinne der Engagement Treppe aufzeigen. Dabei habe ich bewusst ein Beispiel aus dem B2B-Bereich gewählt. Einerseits weil ich selbst aus diesem Bereich komme, andererseits weil im B2B-Sektor immer alles ein wenig komplexer und abstrakter ist als im B2C-Bereich und Marketingverantwortliche hier eher vor dem Problem stehen, theoretische Konzepte in die Praxis zu übertragen.  

Vor einigen Jahren habe ich selbst zusammen mit anderen Mitgliedern aus der Composites-Branche die “Composites Lounge” gegründet. Unser Ziel war es, die Composite Industrie in LinkedIn zu vereinen und gemeinsam Composites in das Bewusstsein der Endanwender zu bringen. Hintergrund für dieses Anliegen ist die Tatsache, dass Composites trotz ihrer vielfältigen Einsatzmöglichkeiten und positiven Eigenschaften, bis heute kein zugelassener Bauwerkstoff sind.  

Durch gezieltes Community Building (durch Anwendung der Treppenstufen zwei, drei und vier) konnten wir die Community soweit aufbauen, dass sich mittlerweile über 1800 Branchenmitglieder und Entscheider für dieses Ziel einsetzen. Im Sinne der Mobilisierung fand zu Beginn das jährliche Netzwerk- und Wissensformat „Composites Lounge Conference“ statt, bei dem Experten und Branchenmitglieder zusammenkommen um das Thema Faserverbund und Leichtbau in den Fokus zu rücken, Kompetenzen zu bündeln und nach neuen, innovativen Wegen zu suchen um die gemeinsamen Ziele und Interessen nachhaltig umzusetzen. Heute wurde das Format an die Bedürfnisse der Community angepasst und es werden Enduserpanels in Partnerschaft mit der JEC Group veranstaltet. Langfristiges Ziel ist es, durch die Masse an Stimmen letztendlich den Gesetzgeber zum Umdenken zu bewegen. 

Auch wenn dieses finale Ziel noch nicht erreicht wurde, zeigt dieses Beispiel, wie durch gezielten Community Aufbau auch im B2B-Bereich einiges bewegt werden kann. Das unendliche Potential das LinkedIn dabei bietet, sollte Grund genug für Marketer sein, die größte Business Plattform der Welt in ihre Kommunikationsstrategie einzubinden. 

Kontakt:

İlkay Özkısaoğlu
Telefon +49 92 75/972 441
Mobil +49 162/742 76 99
info@dersocialceo.com
www.dersocialceo.com

*dieser Artikel wurde am 20.9.2022 bei OMT erstveröffentlicht